Darum sollte man keine Gutscheine für psychosoziale Angebote verschenken

04.10.2020

Den Liebsten mit einem Paarberatungs-Gutschein zum siebten Jahrestag überraschen? Einen Gutschein für psychologische Beratung zu Weihnachten schenken? 10 Gründe, warum es gar keine kluge Idee ist, Gutscheine für Beratungsangebote zu verschenken. Und bei welchem guten Grund, es sich durchaus doch um ein wertvolles Geschenk handelt.

Unlängst rief mich ein Herr aus der Schweiz an: Er würde seiner Nichte gerne eine Familienaufstellung schenken. Sie wohne in Wien und rede seit Monaten von nichts anderem. Ob ich dafür wohl Gutscheine ausstelle? "Nein", sagte ich. Der Gedanke, jemandem mit einem Gutschein etwas zu ermöglichen, das sie oder er ansonsten nicht in Anspruch nehmen könnte, gefiel mir aber. Vor allem weil doch viele Menschen auf der Suche nach ganz persönlichen Geschenken sind.

Wenn auch Sie jetzt denken "Ha! Gute Idee" und gleich einen solchen Gutschein für irgendein psychologisches Angebot erwerben wollen, sollten Sie sich bitte zuerst diese 10 Gründe durchlesen, warum es vielleicht doch keine ganz so glänzende Idee ist. 

10 Gründe, warum es keine Gute Idee ist, einen Gutschein für ein psychosoziales Angebot zu verschenken

Grund 1: Sie möchten, dass Ihre Partnerin endlich ihre (vermeintlichen) Probleme aufarbeitet. Sie will das aber nicht.

In diesem Fall ist die Beratung nahezu sicher zum Scheitern verurteilt. Denn wahrscheinlich haben Sie schon einige Diskussionen dazu geführt und verschiedene Überredungsversuche hinter sich. Würde die Beratung nun aufgrund des Gutscheins ("Verkommen lass' ma nix!") nun tatsächlich in Anspruch genommen werden und dabei sogar etwas Positives rausschauen, droht ein innerer Gesichtsverlust. Es könnte sich ja herausstellen: Der oder die andere hatte (vielleicht sogar schon Jahre lang) Recht! Der Klient oder die Klientin könnte also ein – oft unbewusstes, aber innerlich sehr berechtigtes – Interesse daran entwickelt, alles zu tun, um die Beratung scheitern zu lassen. Damit er sein bzw. sie ihr Gesicht wahren kann!

Grund 2: Sie finden, dass es Ihrem Sohn wirklich gut tun würde, sich Unterstützung zu holen – aber er ist noch unentschlossen.

Gut gemeint, ist manchmal das Gegenteil von gut. Auch wenn er den Gedanken an Unterstützung selbst äußert, kann innerlich noch eine Hemmschwelle vorhanden sein. In manchen Fällen gehört diese innere Abwägung, ob nun wirklich ein Termin vereinbart werden soll, bereits zum Prozess. Der Schritt, sich wirklich dazu zu überwinden, eine Beratungseinheit aus eigenem Antrieb zu vereinbaren, ist bereits ein sehr großer. Vielleicht sogar der wichtigste für alle weiteren Schritte. Diese innere Überwindung und das damit verbundene Erfolgserlebnis könnte ein Gutschein vorweg nehmen oder schmälern.

Grund 3: Sie möchten, dass die Beraterin Ihrer Mutter einmal sagt, dass dieses und jenes Verhalten nicht in Ordnung ist.

Professionelle Beraterinnen und Berater haben eine klare Haltung ihren Klientinnen und Klienten gegenüber. Diese ist empathisch und frei von Wertung, frei von Moral sowie frei von Interpretationen. Ohne Wertung kann auch ein bestimmtes Verhalten nicht wie im Alltagserleben als "nicht in Ordnung" eingestuft und bewertet werden. Professionelle Beratungsangebote funktionieren also nicht nach dem Prinzip: "So können Sie aber nicht tun, Frau Musterfrau!" Beraterinnen und Berater achten darauf, nicht zum Sprachrohr für Dritte zu werden. Ein solcher Gutschein führt also voraussichtlich zu großer Enttäuschung. Bei Ihnen.

Grund 4: Sie glauben, Ihr bester Freund sollte mal ganz tief hinschauen – weil Sie vermuten, dass hier etwas im Verborgenen liegt, dessen Aufarbeitung Positives bewirkt.

Ganz gleich, ob Sie mit Ihrer Vermutung richtig liegen oder nicht: Niemand sollte zu irgend etwas gedrängt werden, das sie oder er nicht aus ganzem Herzen und einem inneren Bedürfnis heraus tun möchte. Mit einem Gutschein aus diesem Grund könnten Sie die Beschenkte oder den Beschenkten in die Lage bringen, "Ihnen zuliebe" oder aus Höflichkeit zu agieren. Das kann im besten Fall zu den Dynamiken von Grund 1 und 2 führen – oder im ungünstigsten Fall zu einem Gefühl von Übergriffigkeit.

Grund 5: Sie haben persönlich wundervolle Erfahrungen mit einem psychosozialen Angebot gemacht und möchten in einer gewissen Euphorie, dass auch andere davon profitieren.

Selbst wenn eine Beratung, ein Paarcoaching, ein Seminar oder eine Familienaufstellung für Sie noch so geniale Prozesse in Gang gesetzt hat und Sie deswegen jetzt nicht nur die ganze Welt umarmen, sondern auch jedem einen Gutschein dafür schenken könnten: Überlegen Sie sich das bitte gut. Denn wie alles im Leben sind auch psychosoziale Angebot das, was Sie daraus machen. Das kann in Ihrem Fall etwas ganz anderes sein, als es für die oder den Beschenkten ist. Möglicherweise könnten hier Enttäuschungen aufkommen, wenn das gleiche Angebot völlig unterschiedlich erlebt, bewertet und in seinen Auswirkungen wahrgenommen wird.

Grund 6: Sie selbst möchten, dass eine Ihnen nahe stehende Person ein Verhalten ändert – Ihre Versuche sind bisher gescheitert, jetzt soll ein Profi ran.

Wenn IHRE Versuche gescheitert sind und nicht diejenigen, der betreffenden Person: Könnte es dann sein, dass der bzw. die Beschenkte vielleicht gar kein Interesse daran hat, sein bzw. ihr Verhalten zu verändern? Falls das so ist: Siehe Grund 1 – in Kombination mit Grund 3.

Grund 7: Sie finden, so ein bisschen Gesprächsberatung kann ja schließlich niemandem schaden.

Bei professionellen Beraterinnen und Beratern würde ich sagen: Stimmt – eine zurückhaltende, auf Fachwissen, Empathie und Erfahrung aufbauende Gesprächsführung in einem Erstgespräch hat wohl bei freiwilligem Erscheinen wirklich noch niemandem geschadet. Die Frage ist allerdings: Wenn das Ihr Beweggrund ist – ist dann ein Gutschein über dieses Angebot wirklich ein so passendes Geschenk? Oder wäre Ihr Geld da nicht eventuell besser in ein gemeinsames Abendessen, einen Konzertbesuch oder einen Büchergutschein investiert?

Grund 8: Sie möchten damit ein Ultimatum stellen: "Entweder du gehst dort jetzt mal hin, oder ..."

Ultimaten dieser Art sind in den aller seltensten Fällen konstruktive Strategien. In diesem Fall haben wir sowohl das Thema von Grund 1 – also ein Scheitern der Beratung als Strategie gegen den drohenden Gesichtsverlust – als auch einen Nährboden für einen destruktiven, resignativen Verlauf: So könnten Klientinnen und Klienten beispielsweise insofern resignieren, als dass sie während der Beratung denken "Ich bin ja jetzt da. Mehr wollte er/sie ja nicht" und jede weitere Kommunikation verweigern. Die bzw. der Beschenkte könnte das Besuchen einer Beratungseinheit danach auch als Karte einer Machtdynamik ausspielen: "Ich war ja da, genau wie du wolltest." Innerlich könnte so die gefühlte Berechtigung entstehen, nun jede konstruktive Form des Mitwirkens völlig aufzugeben, denn "ICH hab ja schon alles getan, was von mir verlangt wurde."

Grund 9: Sie möchten jemanden, der Ihnen wichtig ist, damit von etwas überzeugen, von dem sie oder er gar nichts hält.

Lassen Sie es uns hier doch wieder schlicht dabei belassen, die Gründe 1, 3, 5 und 6 zu kombinieren.

Grund 10: Sie hoffen, dass das der Beginn davon ist, dass endlich alles gut wird.

Beratung ist keine Zauberei und dementsprechend wenig magisch verlaufen psychosoziale Angebote. Veränderungen hin zum Guten im Leben, hin dazu, sich wieder gut zu fühlen – die beginnt ausschließlich in Ihnen selbst. Wenn Sie hoffen, dass endlich "alles gut" wird, dann könnte dies ein Zeichen dafür sein, dass es entlastend sein könnte, sich selbst eine Beratungseinheit zu gönnen. Alles gut zaubern, das geht zwar auch in diesem Fall nicht – aber ich begleite Sie gerne dabei, einen Weg zu finden, mehr Gutes in Ihrem Leben zu sehen und zulassen zu können.

Kurz zusammengefasst: Wenn Ihr Interesse daran, dass die oder der Beschenkte das Angebot doch bitte in Anspruch nehmen möge, größer ist als das der Person, die den Gutschein erhält, überlegen Sie sich lieber ein anderes schönes Geschenk. Sparen Sie sich das Geld und etwaige Enttäuschungen. Denn Beratungen und psychosoziale Angebote, die unter diesen Umständen in Anspruch genommen werden, sind in vielen Fällen zum Scheitern verurteilt.

Es gibt jedoch einen einzigen Grund, doch einen solchen Gutschein zu verschenken

So viele Gründe gibt es also Gründe, KEINEN Gutschein zu kaufen – und doch biete ich sie an. Warum nur? Weil es einen wirklich guten Grund gibt, einen solchen zu schenken:

Wenn Sie ganz sicher wissen, dass sich die oder der Beschenkte wirklich darüber freut und eigenes Interesse daran hat, ein psychosoziales Angebot in Anspruch zu nehmen!

Dann kann ein Gutschein über eine Beratungseinheit, die Teilnahme an einer Familienaufstellung oder über eine Paarberatung ein ganz besonderes und nachhaltig schönes Geschenk sein, das zeigt, wie sehr Sie die beschenkte Person wertschätzen und wie gut Sie ihre Wünsche kennen. 

Gute Gründe für das Verschenken eines Gutscheins könnten also beispielsweise sein:

  • Ihr Partner will schon lange mit Ihnen eine Paarberatung in Anspruch nehmen. Sie haben bisher gezögert. Jetzt haben Sie sich entschlossen und möchten gerne mitkommen. Ein Gutschein für die erste Paarberatungseinheit zu Ihrem Jahrestag könnte hier beispielsweise ein schönes Zeichen sein.
  • Jemand, der Ihnen nahe steht, absolviert gerade die Ausbildung zur psychologischen Beratung und Sie möchten sie oder ihn mit einem Gutschein bei den zahlreichen, dafür notwenigen Selbsterfahrungs- und Supervisionsstunden unterstützen.
  • Sie wissen, dass die Person, die Sie beschenken wollen, wirklich gerne Beratung oder Selbsterfahrung in Anspruch nehmen möchte oder generell großes Interesse und begeisterte Freude an unterstützten Weiterentwicklungsprozessen hat.
  • Sie wissen, dass jemand, den Sie mit einem Gutschein beschenken möchten, bereits in einem Beratungsprozess bei mir ist, den er oder sie gerne weitergehen möchte.

Sich selbst Zeit und Entwicklung schenken

Und zum Abschluss: Sollten Sie sich in mehreren der oben genannten guten 10 Gründe GEGEN einen Gutschein wieder erkannt haben, so kann ich mir vorstellen, dass Sie vielleicht bereits selbst eine gewisse Belastung im Umgang mit einem bestimmten Menschen verspüren, der Ihnen nahe steht.

In diesem Fall möchte ich Sie herzlich einladen, sich zu fragen: Was kann Ihnen denn dabei helfen, die Situation oder Ihre Haltung dazu so zu verändern, dass es für Sie gut weiter gehen darf? Gerne unterstütze ich Sie bei der Suche nach einer Antwort – und neuen Fragen – in der persönlichen Einzelberatung. Diese Zeit dürfen Sie statt anderen nämlich sehr gerne auch sich selbst schenken!